Politik
9/11 – Erinnerungen
World Trade Center NYC

World Trade Center am Abend (Quelle: Kurt U. Heldmann - heldmann.photography)
GDN -
Das erste Mal, dass ich diesen markanten Gebäudekomplex mit seinen zwei hohen Türmen im Süden Manhattans bewusst wahrnahm, war bei meinem zweiten Besuch in New York im Januar 1999. Beim Blick von der Brooklyn Bridge reflektierten sie das Licht und überstrahlten den Financial District.
Und es sollte nicht beim Blick von außen auf die Türme bleiben. Wir, meine damalige Reisebegleitung und ich, besuchten an einem späten Nachmittag die spektakuläre „Greatest Bar on Earth“ im 107. Stock des Nordturms. Die Preise dort waren wie die Aussicht: Gewaltig! Aber das hinderte uns nicht, neben Blick auf Manhattan, Brooklyn und New Jersey auch jeweils ein Glas Champagner zu genießen. Dass ich ein Jahr später in einem völlige anderen Zusammenhang jemanden kennenlernte sollte, der im Window oft he World, zu dem die Bar gehörte, im Service arbeitet konnte ich damals noch nicht ahnen. Und noch viel weniger, dass er zu denen zählen würde, die den 11. September 2001 nicht überleben würden.
Ob von unten oder von oben, das World Trade Center war beeindruckend. Auf der Plaza zwischen den Türmen stand unter anderem eine Skulptur des deutschen Bildhauers Fritz Koenig: Die Bronzeskulptur „The Sphere“. Der Architekt Minoru Yamasaki wählte in den 1960ern bei seinen Plänen für das World Trade Center Fritz Koenigs Entwurf der Kugelkaryatide aus. Sie sollte „Weltfrieden durch Handel“ symbolisieren. Von 1967 bis 1971 arbeitete Koenig an dem monumentalen Werk, das schließlich in die USA verschifft wurde. In New York wurde die über einem Brunnen inmitten der WTC-Türme thronende Skulptur zum beliebten Treffpunkt.
Nach den Terroranschlägen vom 11. September wurde „The Sphere“ zwar beschädigt, aber noch gut erkennbar unter den Trümmern gefunden und als Gedenkort im Battery Park an der Südspitze der Halbinsel Manhattan aufgestellt. Heute steht sie wieder unweit ihres einstigen Standorts im Liberty Park.
Ich war damals passionierter Speedskater und fuhr Rennen auf den längeren Distanzen wie Halb- und Marathon. Bei meinem nächsten Beuch im „Big Apple“ im gleichen Jahr im September fand ich Kontakt zum „Empire Skate Team“ und dessen Speedskating-Gruppe, für die ich ab da bei Rennen in Deutschland an den Start ging. Solche Veranstaltungen wie sie zu dieser Zeit als Nachtskating auf abgesperrten Straßen in deutschen Städten mit zum Teil fünfstelligen Teilnehmerzahlen gab, gab es in New York nicht. Entweder fuhr man hier auf dem Loop im Central Park oder aber in der Gruppe im Verkehr der Großstadt. Bei einer dieser Veranstaltung lernte ich den oben erwähnten Skater kennen, der von seinem Job im Windows oft he World erzählte.
Noch ein Jahr später, im September 2000, nahm ich erstmals an den Internationalen US-Meisterschaften im Speedskating im Prospect Park in Brooklyn auf der Marathondistanz teil. Tatsächlich gelang es mir, meine Altersklasse zu gewinnen und mich für ein Jahr US-Altersklassenmeister zu nennen. Klar, dass ich mir vornahm, meinen Titel im Folgejahr zu verteidigen.
Bei diesem, meinem inzwischen vierten Besuch in New York, wollte ich endlich auch das Observation Deck des World Trade Centers besuchen. Es war ein wunderschöner ruhiger Spätsommertag mit blauem Himmel und fantastischem Weitblick, als ich die Aussichtsplattform auf Südturm betrat. Es war der 11. September 2000, nachmittags gegen 1.30 PM. Wenn mir damals jemand prophezeit hätte, dass genau ein Jahr später keiner der beiden Türme mehr stehen und fast 3000 Menschen ihr Leben verloren hätten, ich hätte ihn für verrückt erklärt.
Im Jahr 2001 hatte ich für den 9. September einen Flug nach New York gebucht, um, wie bereits erwähnt, wieder an US-Meisterschaften im Marathonskaten teilzunehmen. Etwa zwei Wochen vor dem Abflugtermin erhielt ich eine lukrative Anfrage zur Moderation eines Workshops in Gießen. Da ich den Flug gegen eine geringe Gebühr umbuchen konnte und auch der Vermieter des Appartements in Greenwich Village nicht dagegen hatte, wenn ich erst vier Tage später kommen würde, buchte ich auf den 13.9. um und sagte die Moderation zu.
Als ich schon im Zug auf der Rückfahrt nach Kassel war, klingelte mein Mobiltelefon und ein Freund fragte mich ganz aufgeregt: „Bist du in Ordnung? Geht es dir gut?“ Ich wusste überhaupt nicht, was er wollte. „Du bis doch in New York! Bist du weit genug weg von den Türmen?“ Erst als im erklärte, ich säße im Zug nach Hause und würde erst in zwei Tagen fliegen, schilderte er mir, was er zur Zeit im TV sah.
Ich konnte es kaum abwarten, zu Hause den Fernseher anzuschalten und ahe, wie Millionen Menschen weltweit, mit Entsetzen die immer gleichen, sich wiederholenden Bilder von den Flugzeugen, die sich in die Türme bohrten, den Flammen und dem Rauch, den Menschen, die sich verzweifelt aus den Fenstern in die Tiefe stürzten und letztlich von den kurz nacheinander kollabierenden Türmen des World Trade Centers.
Mein Flug fiel natürlich aus, aber der Marathon im Prospect Park gut eine Woche später wurde vom Empire Skate Club in Gedenken an die Opfer durchgeführt. Das Shirt habe ich als Erinnerung geschenkt bekommen, als ich im November 2001 dann tatsächlich wieder nach New York geflogen bin.
Vom Empire State Building aus sah man am Ground Zero auch nach zwei Monaten immer noch Rauchwolken aufsteigen. Das Ausmaß der Zerstörung konnte man nur ahnen, da das Gebiet großräumig abgesperrt war. Meine Bilder vermitteln immerhin einen Eindruck davon. Was mich allerdings beeindruckte, war, wie die New Yorker mit dieser Katastrophe umgingen. Im Großteil der Stadt ging das Leben wie gewohnt weiter. Auch der Empire Skate Club traf sich und fuhr durch die Straßen Manhattans und Brooklyns. Bis zum Tag unserer Abreise, als sich plötzlich alles veränderte.
Am 12. November saßen wir, meine damalige Freundin und ich, beim Frühstück in einem Diner in Midtown. Wir hatten ein Appartement in Hells Kitchen gemietet, das Madonna Luise Ciccone gehörte, die allerdings längst nicht mehr dort lebte. Noch während wir frühstückten, sahen wir Bilder von einem Flugzeugabsturz und hörten Kampfflugzeuge im Tiefflug über Manhattan donnern. Ausgerechnet am Veterans Day war ein Airbus kurz nach dem Start auf dem JFK-Airport in das Wohngebiet Belle Harbor auf der Halbinsel Rockaway abgestürzt. 260 Menschen an Bord und fünf am Boden starben dabei.
Manhattan wurde komplett abgeriegelt, Brücken und Tunnel waren gesperrt, die U-Bahnen fuhren nur innerhalb der Halbinsel. Und die Flughäfen waren natürlich auch dicht. Es wurde zwei Monate nach 9/11 ein neuer Terroranschlag befürchtet. Die Ermittlungen später wiesen auf einen technischen Defekt infolge von Pilotenfehlern hin. Am späten Nachmittag erfuhren wir, dass wir Manhattan wieder verlassen konnten. Nach einem dreifachen Ring von Sicherheitskontrollen kamen wir in das Terminal in JFK, wo wir die halbe Nacht warteten und vom Wartebereich die Blinklichter der Rettungsfahrzeuge an der Absturzstelle sahen. In den frühen Morgenstunden konnten wir an Bord gehen und ohne weitere Zwischenfälle nach Frankfurt fliegen.
Inzwischen war ich noch einige Male in New York City und habe auch die Brunnen am Standort der Türme und das neue One World Trade Center besucht. Doch die Erinnerung an das frühere World Trade Center, die Terroranschläge und mein Erleben darum herum ist nach wie vor lebendig. Es gibt heute bereits mindestens zwei Generationen, die nach 2001 geboren wurden und die Geschichte bestenfalls aus Erzählungen und von Bildern und Filmen kennen. Doch die Terrorgefahr ist nach wie vor groß, vielleicht sogar größer als damals, wie wir durch Einschränkungen in unserem täglichen Leben, vor allem aber durch Sicherungsmaßnahmen bei öffentlichen Veranstaltungen und Festen erleben. 9/11 war die Zeitenwende; es gibt ein „Vorher“ und ein „Danach“. Mit dieser persönlichen Geschichte möchte ich, auch meinen Enkeln, als Zeitzeuge einen Eindruck davon hinterlassen, was damals geschah und warum sich unser Leben dadurch so verändert hat.
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